Hach ja… #36

leben_eine_gebrauchsanleitungWAHRHEIT: Die Menschen wissen selbst, was sie zu tun haben. Die Frage ist vielmehr, was hält sie davon ab?
FURCHT: Jetzt sagst du bestimmt, ich halte sie davon ab.
WAHRHEIT: Furcht, du denkst, jeder ist dein Feind. Aber das stimmt nicht. Der andere ist nicht dein Feind. Ebenso wenig wie Leid und Schmerz. Und schon gar nicht ich.
FURCHT: Du bist nicht mein Feind? Ha! Ich weiß ganz genau, was du von mir hältst.
WAHRHEIT: Ich halte eine ganze Menge von dir. Vor allem bin ich dir dankbar.
FURCHT: Du bist mir dankbar? Seit wann das denn?
WAHRHEIT: Du bist mein Lehrer, Furcht. Du tauchst dort auf, wo etwas nicht stimmt. Dort, wo Misstände herrschen, die behoben werden müssen.
FURCHT: Das ist keine Dankbarkeit. Das ist ein Vorwurf.
WAHRHEIT: Ist es ein Vorwurf, wenn ich sage, dass ich ohne dich nicht gewusst hätte, in welche Richtung ich gehen soll? All die Jahre hast du mir gesagt, was ich nicht tun soll. Und das war genau das, was ich tun musste. Deshalb stimmt es tatsächlich, Furcht. Sogar dir bin ich dankbar.
(lange Pause)
FURCHT:
Ich kann es nicht leiden, wenn du das machst.
WAHRHEIT: Was denn?
FURCHT: Anerkennung zeigen. Da fühle ich mich… schwach.
(noch eine lange Pause)
FURCHT:
Und sieh mich nicht so an. Du weißt genau, was das in mir auslöst.
(Die Wahrheit sieht die Furcht weiterhin an. Und dann, kaum hörbar…)
FURCHT:
Ich will mich nicht mehr unterhalten.
WAHRHEIT: Verstehe.
FURCHT: Aber verschwinden tue ich noch lange nicht, klar? Du wirst noch von mir hören. Das nächste Mal, wenn irgendwas nicht läuft, wie du’s gerne hättest. Oder wenn du eine Enttäuschung einstecken musst.
WAHRHEIT: Ich will es stark hoffen. Wie soll ich sonst wissen, was ich nicht tun soll?

Aus: Tom Shadyac: Leben. Eine Gebrauchsanweisung. München, 2016.