Was uns antreibt…
Der Wille zur Steigerung wird dabei weder individuell noch kollektiv durch das Versprechen eines Fortschritts an Lebensqualität erzeugt, sondern durch die Drohung des (schrankenlosen) Verlusts des bereits Erreichten. Wer deshalb behauptet, die moderne werde vom Verlagnen nach dem Höher, Schneller, Weiter getrieben, verkennt ihre strukturelle Realität: Es ist nicht die Gier nach mehr, sondern die Angst vor dem Immer-weniger, die das Steigerungsspiel aufrechterhält. Es ist nie genug, nicht, weil wir unersättlich sind, sondern weil wir immer und überall wie auf Rolltreppen nach unten stehen: Wann und wo immer wir anhalten oder innehalten, verlieren wir an Grund gegenüber einer hochdynamischen Welt, mit der wir überall [S. 16] in Konkurrenz stehen. Es gibt keine Nischen oder Plateaus mehr, die es uns erlaubten, innezuhalten oder gar zu sagen: „Es ist genug.“ Dies zeigt sich empirisch etwa in dem Faktum, dass die Mehrzahl der Eltern in den sogenannten entwickelten Gesellschaften nach ihrer eigenen Auskunft nicht mehr von der Hoffnung motiviert wird, dass es die kinder einmal besser haben mögen als sie selbst, sondern von dem Verlangen, alles zu tun, was sie irgend können, damit es ihnen nicht schlechter geht.
Rosa, Hartmut: Unverfügbarkeit. Wien, 2018.