Sozialer Stress: Warum reagieren manche mehr darauf als andere?

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Bauer, Joachim: Prinzip Menschlichkeit. Warum wir von Natur aus kooperieren. Hamburg 2006, S. 60ff.

„Manche Menschen können mit Verlusten besser umgehen als andere. Warum? Besonders Säuglinge und Kinder neigen in solchen Fällen zu Panik und biologischem Stress, da sie von sozialer Unterstützung weitaus abhängiger sind als Ältere. Aber auch Erwachsene reagieren außerordentlich stark, jedenfalls stärker, als andere Menschen dies in einer gleichartigen Situation tun würden. Wenn es nicht an der besonderen Schwere des Verlustereignisses liegt, kann dies dadurch bedingt sein, dass ein in frühen Jahren erlebter Mangel an Bindungen im späteren Leben der Betroffenen zu einem so genannten unsicheren Bindungsmuster geführt hat, was bedeutet, dass sich auf jedes befürchtetete oder tatsächliche Problem in zwischenmenschlichen Beziehungen eine ungewöhnlich heftige neurobiologische Angst- und Stressreaktion einstellt. […] Frühe Erfahrungen von mangelnder Fürsorge hinterlasen eine Art biologischen Fingerabdruck, indem sie das Muster verändern, nach dem Gene in späterer Zeit auf Umweltreize reagieren.*“

„[Doch] durch zwischenmenschliche Konflikte ausgelöster Stress muss nicht zu Beeinträchtigungen führen, vorausgesetzt, der Konflikt wird angesprochen, offen ausgetragen und bereinigt. Eine ständige Hochschaltung der Stresssysteme ist dagegen aus neurobiologischer Sicht gefährlich. Eine solche Daueraktivierung kann durch anhaltende, den betroffenen Menschen überfordernde (Arbeits- oder andere) Belastungen hervorgerufen werden. Aber auch nicht lösbare Beziehungsschwierigkeiten können Dauerstress verursachen. […] Personen, bei denen frühe Erfahrungen von fehlender Zuwendung und Bindung eine erhöhte Angst- und Stressbereitschaft erzeugt haben, geraten im Laufe ihres Lebens leichter in Überforderungsstress als andere. Dauerhaft erhöhte Konzentrationen der Stressbotenstoffe Glutamat und Cortison können Nervenzellen und Ihre Netzwerke gefährden.“


 

*“Eine durch erhöhte Reaktionsbereitschaft der Stressgene gekennzeichnete biologische Konstellation findet sich bei Personen, die ein erhöhtes Risiko an Depression zu erkranken, in sich tragen. Was durch frühe Erfahrung in der Säuglingszeit und Kindheit beeinflusst wird, ist nicht der ‚Text‘, als die DNA-Sequenz der Gene. Diese ist unveränderlich. Frühe Erfahrungen können aber programmieren, wie stark ein Gen im späteren Leben in bestimmten Umweltsituationen abgelesen wird.“